Eine Chance für junge Mamas dank Teilzeit
Im Rathaus wird schon die zweite Frau in 30-Stunden-Wochen ausgebildet.
Angebot einmalig im Kreis.
Mit 18 Jahren zog Anja Knafelj nach Spanien, um dort in einer deutschen Praxis als
Zahnarzthelferin zu arbeiten. Fünf Jahre später kam die Fellbacherin zurück - ohne Job,
dafür mit einem kleinen Kind. "Ich wusste damals nicht, wie ich das jetzt allein hinkriegen
sollte mit Beruf und Kind. Und vor allem wusste ich nicht, wo ich arbeiten sollte", sagt
Anja Knafelj. Also ging sie zum Arbeitsamt, wo man ihr einen 1,50-Euro-Job im Fellbacher
Rathaus vermittelte. Und dort wurde Anneliese Roth auf die junge Mutter in Not
aufmerksam. "Wir kamen ins Gespräch und ich dachte mir die ganze Zeit, dass man an
ihrer Situation doch was machen muss", sagt die Gleichstellungsreferentin der Stadt.
Und sie machte etwas: Weil sie schon von der Möglichkeit einer Ausbildung in Teilzeit
gehört hatte, recherchierte Anneliese Roth. Sie fragte beim Regierungspräsidium nach
und riet Anja Knafelj dann, schon mal eine entsprechende Bewerbung einzureichen. Die
tat wie geheißen, und am letzten Tag ihrer 1,50-Euro-Tätigkeit war es dann soweit: Anja
Knafelj konnte in Teilzeit eine Ausbildung als Fachangestellte für Bürokommunikation bei
der Stadt Fellbach beginnen. "Das war eine tolle Überraschung", sagt sie. Und beim
Gedanken an den Glückstag vor vier Jahren breitet sich sofort wieder ein Strahlen auf
ihrem Gesicht aus.
Mithilfe der 30-Stunden-Woche konnte die heute 31-Jährige ihr Leben mit Kind endlich
regeln. "Ich hatte plötzlich sowohl genügend Zeit für meine damals vierjährige Tochter
Sara als auch die Chance, meine Zukunft in die Hand zu nehmen", sagt Anja Knafelj. Dass
die Ausbildung dafür eben vier Jahre dauert, nahm die Pionierin gern in Kauf. Denn die
Fellbacherin war eine der ersten, die das Modell nutzten.
Im Jahr 2005 wurde das Berufsbildungsgesetz (BBIG) geändert, und damit wurde eine
Ausbildung in Teilzeit möglich. "Bisher ist das Fellbacher Beispiel im Rems-Murr-Kreis aber
einzigartig, das soll jedoch nicht so bleiben", sagt Martina Görz. Schließlich käme die
Teilzeit-Ausbildung auch für junge Väter oder für pflegende Angehörige in Frage. "Eben
für alle, bei denen die familiäre Verantwortung eine Vollzeitausbildung unmöglich macht",
sagt die Ausbildungsleiterin der Stadt.
Dass das Angebot mittlerweile eine feste Größe ist, dafür hat sich der
Gleichstellungsbeirat stark gemacht. "Wir haben bei der Stadtverwaltung einen Antrag
gestellt, die Teilzeit-Ausbildung grundsätzlich anzubieten", sagt Anneliese Roth. Und
darauf ist sie stolz, schließlich "ist eine ordentliche Ausbildung wichtig und sollte jedem,
und zwar in jeder Lage, ermöglicht werden", sagt die Gleichstellungsreferentin. Das
Problem: Nur die wenigsten Betriebe wissen von dem Modell. "Es hat sich bisher noch
nicht wirklich etabliert", sagt Martina Görz. Und das, obwohl die Sonderregelung auch für
die Firmen Vorteile bringt. So geht damit für den Arbeitgeber eine finanzielle Entlastung
einher, "und daneben kann man davon ausgehen, dass diese Auszubildenden aufgrund
ihrer besonderen Situation viel motivierter sind", sagt Martina Görz. Grundsätzlich könne
jeder Beruf auf die Möglichkeit einer Teilzeitausbildung geprüft werden, sagt sie.
Auch Katharina Würfel macht bei der Stadt Fellbach eine Ausbildung in Teilzeit. Sie ist die
Nachfolgerin von Anja Knafelj, die nach der erfolgreich beendeten Ausbildung jetzt einen
Jahresvertrag bei der Stadt unterschrieben hat. Katharina Würfel wird in drei Jahren zur
Verwaltungsfachangestellten ausgebildet - ebenfalls in 30-Stunden-Wochen. "Nur die
Berufsschule ist davon unabhängig, aber die geht ja sowieso immer nur bis mittags", sagt
die 21-Jährige. Sie war Schülerin am Wirtschaftsgymnasium, als sie erfuhr, dass sie
schwanger ist. Daraufhin brach sie die Schule ab und suchte Hilfe beim
Berufsbildungswerk in Waiblingen. "Mit meiner dortigen Betreuerin stieß ich im Internet
auf das Modell der Teilzeit-Ausbildung. Zum Glück", sagt die Mutter des
eineinhalbjährigen Niklas.
Stuttgarter Nachrichten "Fellbach und Rems-Murr-Kreis", 16.10.2010 von Simone Käser